Absinth – Begegnung mit der grünen Fee

Um den Absinth ranken sich viele Mythen. Die grüne Fee wurde seit ihrer Erfindung vor rund 250 Jahren geliebt wie verteufelt. Spätestens seit den 1990er-Jahren ist der Absinth erneut salonfähig und uns allen bekannt. In Filmen wie „Bram Stokers Dracula“ oder „From Hell“ gehört er zum Alltag der Protagonisten.

Doch was ist dran an den Berichten zu seiner Wirkung, die einst zu seinem Verbot führten?  Für viele besitzt er etwas Geheimnisvolles, ohne dass wir wissen, wie sich seine Geschichte in Wahrheit zugetragen hat. Daher ist es uns ein Anliegen, diese und seine Herstellung ausführlich zu beleuchten.

Was ist Absinth?

Absinth (oder fr. Absinthe) ist eine Wermutspirituose. Letztere Bezeichnung verrät bereits, mit was wir es zu tun haben. Absinth ist ein alkoholisches Getränk, das traditionell aus Wermut, Fenchel, Anis und je nach Rezeptur aus weiteren Kräutern hergestellt wird. Seinen Namen verdankt er der lateinischen Bezeichnung des Wermutkrauts, „Artemisia absinthium“.

Da er bei den meisten Marken im grünen Gewand daherkommt, nennt man ihn auch „die grüne Fee“ (französisch „la fée verte“). Kennzeichnend für Absinth ist ein hoher Alkoholgehalt zwischen 45 und 85 Volumenprozent. Durch die Verwendung von Wermut enthält er viele Bitterstoffe, was jedoch nicht bedeutet, dass er immer auch bitter schmeckt. Dennoch trinkt man in der Regel verdünnt mit Wasser.

Die Geschichte des Absinth

Die Erfindung in der Schweiz

Absinth stammt ursprünglich aus der Schweiz. Die Einwohner des Val-de-Travers im heutigen Kanton Neuenburg konsumierten nachweislich bereits ab 1737 ihren Wein mit Wermut. Zunächst erfüllte der Absinth die Rolle eines Heilelixiers.

Das war kein neuer Trend. Schon lange vor Christi Geburt nutzte der Mensch Artemisia-Kräuter zu medizinischen Zwecken. Auch Hippokrates und Hildegard von Bingen kannten und lobten ihn. Letztere ging mit Wermutabkochungen gegen Magenbeschwerden vor. Die Verwendung des Wermutkrauts in Extrakten und Tinkturen leitete das Entstehen des Absinths ein.

Aus den Quellen geht nicht eindeutig hervor, wer sich letztendlich die Erfindung des Absinths auf die Fahne schreiben kann. Zu seinen möglichen Schöpfern gehört möglicherweise der aus politischen Gründen in das preußische Fürstentum Neuenburg geflohene Arzt Dr. Pierre Ordinaire. Angeblich soll der Landarzt seinen Patienten mit einem „élixir d’absinthe“ behandelt haben.

Bezüglich des Rezeptes ist zu vermuten, dass Ordinaire es aus den Kreisen der Familie Henriod erhielt. Die Heilkundige und Ehefrau des Gastwirts Henry-Francois Henriod, Suzanne-Marguerite Motta, auch „Mutter Henriod“ genannt, gilt als dessen Urheberin“. Die Familie stellte das Absinthelixier schon länger her und verkaufte es über Apotheken. Wahrscheinlich optimierte Ordinaire den Prozess der Herstellung und legte  ihn für größere Mengen aus.

Die Ausweitung der Produktion

Es gilt als gesichert, dass ein Mitglied der Familie Henriod im Jahre 1797 das Rezept an einen Major namens Dubied verkaufte. Dieser gründete gemeinsam mit seinem Sohn Marcellin und seinem Schwiegersohn Henri Louis Pernod eine Absinth-Brennerei.

Von den anfänglich täglich nur 16 produzierten Litern ging der größte Teil nach Frankreich. Die Formalitäten beim Zoll erwiesen sich auf die Dauer als umständlich. Daher verlagerte Henri Louis Pernod 1805 die Produktion ins französische Pontarlier. Dort wurden anfangs täglich 400 Liter Absinth hergestellt. Aufgrund seines Erfolges schossen sowohl in Frankreich als auch im Fürstentum Neuenburg weitere Absinthdestillerien aus dem Boden.

Absinth als Medizin im Algerien-Krieg und die „heure verte“

Im Jahre 1830 besetzte Frankreich Algerien. Bereits die ersten Schiffe, die übersetzten, hatten Absinth an Bord. Mit einer Mixtur aus Wasser, Wein und der Wermutspirituose bekämpften das Militär Epidemien, die aufgrund sanitärer Missstände auftraten. Bei ihrer Rückkehr nach Frankreich brachten die Soldaten den Absinth in alle Landesteile. Das hatte eine enorme Steigerung der Produktion zur Folge.

Um das Jahr 1860 herum war die „heure verte“, zu deutsch die grüne Stunde, eine feste Größe im Alltagsleben der Franzosen. Zwischen 17 Uhr und 19 Uhr Absinth zu trinken galt als chic. In den Bars und Cafés etablierte sich ein Tischritual. Dabei platzierte der Gast ein Stück Zucker auf einem spatelförmigen, geschlitzten oder gelochten Löffel. Diesen legte er über sein mit Absinth gefülltes Glas. Aus einem hohen Wasserbehälter mit mehreren Hähnen fiel etwa ein Tropfen pro Sekunde auf den Zucker. Mit dem Trinken wartete der Absinthgenießer so lange, bis die Flüssigkeit eine milchig-grüne Farbe angenommen hatte.

Die „heure verte“ markierte einen Einschnitt in der Geschichte der Trinkgewohnheiten der Franzosen. Erstmals genossen sie in großen Mengen ein alkoholisches Getränk, das kein Wein und zudem mit Kräutern versetzt war. Auch Frauen, die ihr Dasein nicht in zwielichtigen Milieus fristeten, hatten nun ebenfalls die Gelegenheit, in schicklicher Weise Alkohol zu konsumieren. Das Trinkritual ließ sowohl den Arbeiter wie auch den Bohème stundenlang in den Bars ausharren.

Absinth unter den Künstlern – geliebt und gehasst

Heute verbindet man das Trinken von Absinth mit der Kunstszene dieser Zeit. Charles Baudelaire, Vincent van Gogh, Ernest Hemingway, Edgar Allan Poe, Arthur Rimbaud, Aleister Crowley – die Liste der berühmten Freunde des Absinths ist lang.

Doch es wurde er nicht nur getrunken. Sein Konsum stellte gleichzeitig ein beliebtes Motiv dar. So zeigen weltbekannte Bilder wie „der Absinthtrinker“ von Édouard Manet die Verwahrlosung und Verwirrung derjenigen Zeitgenossen auf, die der grünen Fee voll und ganz verfallen waren. Oscar Wilde gab über den Absinth zu Folgendes zu bedenken: „Nach dem ersten Glas sieht man die Dinge so, wie man sie gern sehen möchte. […] Am Ende sieht man die Dinge so, wie sie sind, und das ist das Entsetzlichste, das geschehen kann.“

Die zunehmenden Probleme durch den Langzeitkonsum riefen Kritiker auf den Plan. Sie sahen in ihm den Grund für Halluzinationen, Abhängigkeit und Gewaltexzesse. Es kam zu einer Allianz zwischen Antialkoholvereinigungen und Weinproduzenten. Bei einer Demonstration im Jahre 1907 skandierten die 4000 Teilnehmer „Tous pour le vin, contre l’absinthe“ – alle für den Wein und gegen den Absinth.

Der Mordfall Lanfray – Absinth wird verboten

Ein spektakulärer Mordfall von 1905 brachte das Fass zum Überlaufen. Der Weinbergarbeiter Jean Lanfray ermordete in einem Wutanfall seine schwangere Frau und die beiden gemeinsamen Töchter. Er war Alkoholiker und trank bis zu fünf Flaschen Wein am Tag. Die Debatte fokussierte sich allerdings ausschließlich auf den Absinth, zu dem er vor dem Wein gegriffen hatte.

In Folge des Falles verbot man in Belgien Absinth noch im selben Jahr. In der Schweiz kam es zur Volksabstimmung. Per Mehrheit wurde auch hier ein Verbot erwirkt, das am 05. Juli 1910 in die Verfassung aufgenommen wurde. In Frankreich folgte das Verbot 1914. Lediglich Portugal und Spanien zogen in Europa nicht mit.

Die Ursache für die verheerende Wirkung des Absinths sah man bei dem im Wermut enthaltenen Nervengift Thujon. Letztendlich waren für den gesellschaftlichen Verfall wohl andere Faktoren entscheidend. Eine Gesellschaft, die es gewohnt war, Wein zu trinken, versagte bei der Begegnung mit Massen an hochprozentigem Alkohol. Dieses Phänomen begegnet uns unter anderem auch in der Geschichte Großbrittaniens beim „Gin Craze“ etwa hundert Jahre zuvor.

Für die Symptome wie epileptische Krämpfe, Halluzinationen, Schwindel und Wahnvorstellungen führte vermutlich eher minderwertiger Alkohol. Der zulässige Thujongehalt lag damals wie heute bei nicht mehr als 35mg je kg.

Illegales Brennen in der Schweiz

Das Verbot hielt viele Schweizer Brenner nicht davon ab, ihre Arbeit fortzuführen. In etwas sechzig bis achtzig illegalen Destillerien stellten sie weiter Absinth her. Heute betont man im Val-de-Travers gerne, dass hier seit 250 Jahren ununterbrochen Absinth hergestellt wird. Ähnlich wie beim irischen Poitin oder dem amerikanischen Moonshine entwickelte sich eine reiche Folklore um das Getränk.

Die Hersteller wehrten sich gegen das Verbot. Berthe Zurbuchen, eine bekannte Persönlichkeit aus dem Val-de-Travers, wurde in einem Schauprozess in den 1960er Jahren zu einer Strafe von 3000 Euro verurteilt. Nach dem Urteilsspruch erkundigte sie sich beim Richter, ob sie sofort zahlen solle oder erst, wenn er das nächste Mal vorbei käme, um seine wöchentliche Flasche abzuholen. Nach dem Schuldspruch gab sie ihrem Haus einen demonstrativ absinthgrünen Anstrich.

Auch der französische Staatspräsident François Mitterrand entging nicht den Aktionen der Absinthbrenner. 1983 servierte man ihm anlässlich eines Staatsbesuchs ein mit Absinth glasiertes Soufflé. Die demonstrative Verwendung hatte für den Restaurantbesitzer eine viertägige Gefängnisstrafe auf Bewährung zur Folge. Pierre-André Delachaux, Vetreter des Kantons und Urheber der Idee zu dem Streich, entging nur knapp dem erzwungenen Rücktritt von seinem Amt und dem Ende seiner politischen Karriere.

Legalisierung und geschützte Herkunftsbezeichnung

Im Val-de-Travers wurde neben dem illegalen Absinth auch eine legale Variante produziert. Ab 2001 stellte man ein Getränk her, dass aufgrund seines extrem reduzierten Alkohol- und Thujongehalts laut Gesetz kein Absinth mehr war.

Bis zur Legalisierung des Absinths am 1. März 2005 bemühten sich Schweizer wie Franzosen gleichermaßen, die Spirituose offiziell zum regionalen Kulturgut zu machen. Die Schweizer versuchten, ihn unter dem IGP („indication géographique protégée“), die Franzosen ihn als „appellation d’origine réglementée“ zu erhalten. Falls es zu solch einer Verleihung, egal in welchem der beiden Länder, kommen sollte, dürfen nur noch Produkte, die aus der Region Jura stammen und gewisse Qualitätsstandards einhalten, sich Absinth nennen.

Inhaltsstoffe und Herstellung des Absinth

Außer Wermut gehören Anis bzw. Sternanis, Fenchel, Fenchel, Ysop, Zitronenmelisse und pontischer Wermut zu den Inhaltsstoffen.  Dazu kommen, je nach Variante, Angelika, Kalmus, Koriander, Muskat, Veronica und Wacholder.

Die grünliche Färbung stammt vom im pontischen Wermut enthaltenen Chlorophyll. Bisweilen werden zur Färbung auch Zusatzstoffe wie Anilingrün, Kupfersulfat bzw. –acetat und Indigo zugefügt. Antimontrichlorid sorgt dafür, dass der Louche-Effekt eintritt. Bei diesem handelt es sich um die milchige Trübung des klaren Getränks bei starker Kühlung oder Verdünnung mit Wasser.

Absinth wird in fünf Qualitätsgrade unterteilt. Demzufolge unterscheidet man Absinthe des essences (dt. Absinth-Auszüge), Absinthe ordinaire (dt. gewöhnlicher Absinth), Absinthe demi-fine (dt. Absinth halb-fein), Absinthe fine (dt. Absinth fein) sowie Absinthe Suisse (dt. Schweizer Absinth). Der Absinthe des essences besitzt den niedrigsten Alkoholgehat und die niedrigste Qualität, der Absinthe Suisse dementsprechend den höchsten Alkoholgehalt und die höchste Qualität.

Produktion

Die traditionelle Herstellungsweise sieht vor, dass Wermut, Anis und Fenchel in Neutral- oder Weinalkohol mazeriert werden. Doch die moderne Absinthproduktion nutzt eher Absinthessenz, die in hochprozentigen Alkohol gegeben wird.  Erst ab der Mittelklasse findet die klassische Einweichung als erster Schritt statt.

Anschließend findet die Destillation statt. Sie dient dazu, die starken Bitterstoffe des Wermuts abzutrennen. Sie bleiben auf der Strecke, da sie weniger flüchtig sind als die Aromastoffe. Wäre dem nicht so, würde sich das Ergebnis zwischen unangenehm bis ungenießbar einordnen. Folglich weist eine hohe Bitterkeit  entweder auf schlechte Qualität oder auf die Verwendung von Extrakten hin.

Für den Geschmack des Endprodukts haben neben den Aromen auch die zur Färbung verwendeten Kräuter ihren Einfluss. Bei altem Absinth führt die Zersetzung des Chlorophylls zu einem brauen oder gelblichen Farbton. Sehr alter Absinth ist in manchen Fällen bernsteinfarben. Blaue, rote oder schwarze Absinthe halten sich nicht an historische Rezepte. Ihre Färbung dient Marketingzwecken und wird durch Zusatzstoffe erzeugt.

Wie schmeckt er und wie trinke ich ihn?

Der Genuss puren Absinths ist selten. Er wird in der Regel verdünnt, bis die Flüssigkeit opalisiert (Louche-Effekt). Im Folgenden beleuchten wir ein paar der bekanntesten Trinkrituale, historische wie moderne. Alle haben gemeinsam, dass der Absinth im Verhältnis 1:1 bis 1:5 mit Eiswasser vermischt wird.

Die Schweizer Trinkweise

Sie ist die am wenigsten verbreitete Trinkweise. Da der Schweizer Absinth nicht so bitter schmeckt, verzichtet man bei diesem Ritual in der Regel auf Zucker. Das kalte Wasser wird mit zwei bis vier Zentiliter Absinth vermischt.

Das Feuerritual oder auch tschechische Trinkweise

Dieses Ritual beruht NICHT auf einer langen Tradition. Um den Absinthkonsum interessanter zu machen, entwickelte es ein tschechischer Hersteller in den 1990er-Jahren.

Es sieht vor, dass ein bis zwei mit Absinth getränkte Zuckerstücke auf einen Absinthlöffel gelegt und angezündet werden. Die Flammen werden gelöscht, sobald der Zucker karamellisiert und Blasen wirft. Erst dann gibt man ihn in den Absinth. Dabei ist Vorsicht geboten: Noch brennende Zuckerstücke im Glas sind in der Lage, den Absinth zu entzünden. Auch beim Feuerritual wird der Absinth in einem Verhältnis von 1:3 bis 1:5 mit Eiswasser gemischt.

Französisches Trinkritual

Das französische Trinkritual orientiert sich an den historischen Vorbildern aus dem 19. Jahrhundert. Bis zu seinem Verbot wurde dort der Absinth auf diese Weise genossen.

Wie beim Feuerritual wird Zucker benötigt. Dieses Mal bleibt die Zündelei jedoch aus. Ein bis zwei Zuckerwürfel werden auf dem Absinthlöffel oberhalb des Glases platziert. In geringem Tempo träufelt oder gießt man kaltes Wasser darüber. Das Mischungsverhältnis sollte sich zwischen 1:3 und 1:5 einpendeln.

Diverse Hilfsmittel dienen zur Zuführung des Wassers. Die Absinthfontäne verfügt über Hähne, die einen dünnen Strahl abgeben. Beim Aufsetzen des Brouille, einem speziellen Glasaufsatz, entfällt der Löffel. Durch ein kleines Loch strömt das Wasser in das darunter befindliche Glas.